Syjettes
Syjettes
Syjettes
Mina Lunzers Zugang zu Medientheorie ist ein vermittelter, der das Mediale stets in jenen Artikulationsformen aufsucht, die den Raum des Öffentlichen für sich beanspruchen: Solche Artikulationsformen umfassen den Journalismus ebenso wie das Kino, das Hörspiel oder – wie in Syjettes – den Wiener Freizeit- und Vergnügungspark ‚Prater’: Als solcher eine Symbiose aus realem und medialem Ort, der von klassenspezifischer Unterhaltungskultur zeugt und doch das Versprechen auf eine sozial übergreifende Kommunikation in sich trägt. In diesem Sinne sind Lunzers medientheoretische Beiträge nicht nur durch jene Genres vermittelt, die (ihre) Medialität den Horizont einer ‚anderen’ Gesellschaft einzuschreiben suchen:
Neben experimentellen Filmen und Installationen in Form von Sozial- und Wissenschaftsreportagen für Printmedien sowie von Beiträgen für Fachzeitschriften (so für das internationale Internetmagazin Senses of Cinema). Es sind also die den herrschenden (Medien-)Ökonomien eingeschriebenen Restriktionen, die Lunzer, nicht durch vorgebliche Medienkritik, sondern durch einen mehrschichtigen Prozess der Übersetzung zwischen (medien-)kulturell wirksamen Dispositiven adressiert: Hieraus gewinnt die Künstlerin und Autorin jene Distanz, die den Anspruch auf eine kritische (Medien-)Reflexion erst zu rechtfertigen scheinen.
Dies lässt sich beispielhaft an Syjettes darlegen – ein semi-dokumentarischer Film, der den Wiener Prater in seiner Mehrfachfunktion als Jahrmarkt, Verkehrsknotenpunkt und Schauplatz von ‚Kunst im öffentlichen Raum’ zum Gegenstand hat. Vier Sprecher (sog. Originalzeugen) berichten in Interviews, die die Künstlerin 2005 mit ihnen geführt hat, über einen Unfall, der sich ein Jahr zuvor am Praterstern ereignet hat. Die Zeugenberichte sind entsprechend zu Hans Magnus Enzensbergers Vom Winde verweht geschnitten – ein Originalton-Hörstück, in dem der Schriftsteller vier Personen den Filmklassiker nacherzählen ließ. Lunzers Hörspielversion war drei Wochen lang in einem begehbaren Auto installiert, das zuvor gegen die Fassade des ‚Fluc’, einem bekannten Veranstaltungs- und Ausstellungsort am Praterstern, gefahren worden war. Mit Maschinengeräuschen und menschlichen Schreien gesampelt wurden in der anschließend entstandenen Filmversion drei der Zeugenprotokolle als Tonspur verwendet. Der Film zeigt drei typische Postkartenansichten des Pratersterns: Vogelperspektive vom Riesenrad, Schaubudenkulisse und die Terrasse des SPÖ-Vereinshauses mit Blick auf den Bahnhof. Jedem der drei Räume bzw. Blickachsen wird eine Zeugenstimme zugewiesen.
Syjettes lässt sich als eine dokumentarisch-narrative Überschreibung medientheoretischer Diskurse lesen, die von jenen Wechselverhältnissen zwischen Ereignissen, Wahrnehmungsformen und Medien zeugen, wie sie nicht nur von Enzensberger, sondern auch von Walter Benjamin, Bela Balázs, Wolfgang Hagen, Laura Mulvey/ Peter Wollen, Ute Holl u.a. theoretisch und/oder künstlerisch erörtert wurden. Neben Enzensbergers Hörstück stellen Benjamins Radiotheorie und Balázs Das Radiodrama wesentliche Referenzen für die Verklammerung von Stimme und Raumwahrnehmung dar, die hier nun in die Dimension des Kinos übertragen wird. In Syjettes ist es die Dissoziation von agierendem Körper und dokumentarischer Stimme, die das von den jeweiligen Figuren erzählte Geschehen konstituiert. Die von vier Zeugenstimmen und elf Bild-Akteuren produzierte Narration verweist dabei auf das Verhältnis zwischen Sprecher und Kamera, das die Faktizität des Geschehens an die unhintergehbar illusionistische Gegenwart mediumgebundener Repräsentation koppelt. Wie in Michael Cowans Text über Praterklänge in der Literatur um 1910 beschrieben, werden menschliche von maschinellen Geräuschen überlagert und werden dennoch als ‚rein humane’ Töne wahrgenommen. Dieses Phänomen verknüpft Lunzer im Hinblick auf das von den Zeugen erinnerte Ereignis des Autounfalls mit medizinischen Trauma-Diskursen: So mit The Harmony of Illusions von Allan Young, der Trauma-Erfahrungen als einen wesentlichen Kern gesellschaftlicher Narrative erkennt und die damit gemeinten pathologischen Symptome auf soziale, politische und historische Kontexte bezieht. Was Young in diesem Zusammenhang als „Rückwärtsbewegung der Zeit“ bezeichnet, wird in Syjettes zum Erzähl- und Schnittschema, das thematisch wie bild- und soundtechnisch um die Gegenwart eines in der Vergangenheit liegenden Ereignisses kreist: Das filmische Verfahren erweist sich so als quasi-wissenschaftliche Methode, die die Genese eines Sachverhalts auf der Basis einer retrospektiv gewendeten Hypothese zu erschließen sucht. Doch insofern jede der Original-Stimmen eine andere Verbindung zum Ereignis herstellt, lässt die Erzähform die Unterscheidung von Ursache, Hergang und Symptom kollabieren.
Eine solche, für das Avantgardekino typische Erzählstruktur deutet Lunzers Arbeit im Sinne einer "Neuropathologie als filmische Inszenierung“ (Holl). Es gelingt der Künstlerin, den Film nicht nur als ein Genre, dem intermediale Übersetzungsprozesse eingeschrieben sind, zu thematisieren, sondern diese Übersetzungsprozesse als Vorgänge ansichtig werden zu lassen, die in wesentlicher Weise durch soziale Erfahrungsformen wie denen des Traumas geformt und vermittelt sind. Damit vermag Syjettes all jenen deterministischen Medienbegriffen zu widersprechen, wie sie sich u.a. an dem von ihr gewählten Verfahren des sog. „non linear editing“ festmachen, handelt es sich hierbei doch um eine Technik, die einer linearistischen Historisierung moderner Medien Vorschub geleistet hat. Die sich in Syjettes manifestierende Assemblage aus Bild, Text und Ton erinnert dabei nicht zuletzt an Vilém Flussers „Text and Image“, insofern sie auf jene als unhintergehbare Wirklichkeit wahrgenommene Gemengelage aus Textualität und Visualität verweist, wie sie Flusser in einem Filmstreifen erkannte.
In diesem Sinne lässt sich Lunzers Arbeit auch als eine medientheoretisch unterfütterte Diskursanalyse des Sozialen lesen, das jedoch nicht als voraussetzungslose Wirklichkeit vorgestellt wird, deren Analyse dem wissenschaftlichen Zugriff vergleichbar beansprucht würde. Wenn sich die Künstlerin jener alten und neuen Medien, denen ihr historisches und gegenwartsdiagnostisches Interesse gilt, bedient, dann, um die Bedingungen der Regeln zu erlernen, die an der Herstellung und Repräsentation der auf diese verweisende Wirklichkeit teilhaben. Dies heißt indes nicht, dass künstlerisch-filmische Praxis mit (Medien-)Theorie gleichzusetzen wäre, sondern nur, dass sie mehr oder weniger explizit an den ‚Übersetzungen’ partizipiert, die ihre Unterscheidung bzw. Unterscheidbarkeit bedingt. Es geht also um die Vermittlungsformen, in denen sich die Vergleichbarkeiten von Theorie und Kunst im Sinne unüberwindbarer Differenzen artikulieren: Vermittlungsformen, die stets von den Öffentlichkeiten abhängen, die durch diese adressiert werden. In diesem reflektieren die konzeptiv ihre Gültigkeit zur Disposition stellenden Erzählungen von Syjettes auch jene Mechanismen des sozialen Ein- und Ausschlusses, auf denen die Herstellung von Öffentlichkeit beruhen.