Datenraum II
Datenraum II
Das World Wide Web ist eine europä ische Erfindung. Mit Beginn der 90er Jahre wurden von CERN (European Laboratory for Particle Physics) die technischen Standards für das WWW entwickelt. Popularisiert, vermarktet und ge-hyped wurde das Web jedoch in denVereinigten Staaten. Cyberspace- Lobbyisten wie das kalifornische Wired Magazine propagieren eine techno-kul turelle Legitimation des Neoliberalis mus und die damit einhergehende Aus weitung und Verdichtung des globalen Marktes durch Telekommunikation. Das Internet gilt als Synonym für Globalisie rung. Doch die Frage besteht, wie sich kulturelle Differenzen, Minoritäten und lokale Subjektivitäten durch das WWW erhalten und verbinden lassen.
Was bringt das Internet für Europa? Gibt es bereits eine europäische Netz kultur? Oder müssen wir gar ein eu ropäisches Intranet, eine digitale Festung Europa befürchten? Bigwig und Raprabbit diskutieren über Europa
Bigwig: Europa muß in unserer The menliste an erster Stelle stehen. Selbst in der undurchsichtigen neuen Medien landschaft. Die Europäer müssen ihren eigenen Medienraum bestimmen, sonst wird er seine Identität und ökonomi sche Kraft verlieren.
Raprabbit: Aber Europa ist eine Büro kratie. Nicht mehr und nicht weniger. Seine Existenz wird von Brüssel und von seinen Gegnern bestimmt. Warum sollten wir uns in dieser eindimensio nalen und defensiven Struktur engagie ren?
Bigwig: Weil das Europa, an dem Dir nicht gelegen ist, die Macht hat und die Regeln für den Medienraum, in dem alle Europäer leben, festlegt. Warum willst Du Dich vor Deiner Verantwor tung drücken? Warum hegst Du so lei denschaftlich Deinen Kalifornischen Traum und ziehst Dich gleichzeitig aus der Diskussion über Dein eigenes geo graphisches Umfeld zurück? Raprabbit: Weil Du die Leute nicht er reichst, mit denen Du all das wirklich besprechen müßtest. Sie verbarrikadie ren sich in bürokratischen Festungen. Europa ist ein bewegliches Ziel. Mit
den Leuten, die ich respektiere und mit denen ich mich assoziiere, diskutiere
ich lieber über produktivere Themen. Bigwig: Damit versteckst Du Dich vor der Realität. Die Industrie reagiert da ganz anders. Warum versuchen gerade die taktisch versierten Medienleute wie Künstler und Funktionäre, sich die Hän de nicht schmutzig zu machen und ganz in der utopischen Cyberspace- Ekstase aufzugehen?
Raprabbit: Ich kann es mir nicht lei sten, in dieses verfilzte Knäuel, das Europa heißt, Zeit zu investieren. Ich bin gerade dabei, den neuen Medien raum aufzubauen, von dem Du ständig sprichst. Laß mich mit meiner Verant wortung in Ruhe.
UND WÄHREND BIGWIG UND RAPRABBIT IHR KONSTRUKTIVES GE SPRÄCH FORTSETZTEN, WURDE EUROPA ÜBER NACHT AN DIE BANKER VERKAUFT.
Marleen Stikker. Netz und Ambivalenz
Technik und Politik in Europa
Der Vortrag wird berichten von zwei unterschiedlichen Bereichen des Net zes: a) den Vorbereitungen für den Euro-Gipfel in Amsterdam, Mitte Juni 1997 b) der Art und Weise, wie ein nicht-national bezogener Widerstand gegen Brüssel im Netz aktiv ist und werden könnte (z.B. mit den Mitteln von realaudio, gemeinsamen Datenba sen) und der dazugehörigen Bandbrei tendiskussion über die Alternativen von „push media". Der andere Bereich wäre die Lage in Ost-Europa. Gelten dort wirklich nur die Amerikanischen Modelle von Kommunikation und Orga nisation? Wird der Börsenspekulant
und Philantroph George Soros der ein zige bleiben, der bestimmen wird, wie der kulturelle Sektor der Netzarchitek tur im Ostteil Europas auszusehen hat? Europa versinkt langsam in kläglicher Selbstreferenz. Sind Brüssel und Soros in dieser Situation geeignet, als ima ginäre Gegner für die Formulierung von Alternativen in der Netzpolitik? Können soziale Bewegungen nur noch in pro
fessionellen NGO-Strukturen operieren und ist die „nicht-kommerzielle" Firma europaweit das einzige Modell in dem sich die Utopien von *Universal Access* realisieren lassen?
Geert Lovink
. Das Netz in Amerika steht kurz vor ei ner Implosion. Von der sinkenden Ren tabilität, der Erschöpfung des Beteili gungskapitals und der ausgesproche nen Seltenheit ausgereifter Ideen be drängt, den unablässigen Angriffen durch die Gesetzgeber des gesproche nen Wortes ausgesetzt und durch die immer rascher einander ablösenden In novationen entmutigt, ist das Netz zu einer allgemeinen Quelle von übertrie bener Publicity geworden und hat sich mit einer Bedeutungsaura umgeben, die in dem lächerlichen Begriff „Zufrie denheit" zusammengefaßt ist. Die
jüngsten Versuche zur Legitimation des Web zielten in der Tat auf die Ausrot tung jeglicher Art von Unterschieden (Rasse, Alter, Geschlecht, Behinderun gen usw.), in der Vorstellung, die geisti ge Verbundenheit könne sich über die Bedrängnis internationaler Krisen hin wegsetzen und zu einer Sphäre psychi scher Subjektivität führen, eine Vorstel lung, die ganz offensichtlich utopisch und äußerst pathetisch ist. Andy Grove, Generaldirektor von Intel, brüskierte führende Schweizer Geschäftsleute auf einer Zusammenkunft mit der Behaup tung, daß sich in der langsamen Assi milation der Computer und Networks
in Europa eine kulturelle Krise aus- drücke. Hinter seinen grundfalschen gleichmacherischen Intentionen steckt der ganz und gar nicht subtile Imperia lismus, der in der amerikanischen und nicht weniger in der kalifornischen Ideologie wurzelt, die Ideologie des global village. Ganz sicher verweist Grove's kulturlose Bemerkung auf mehr als nur schlecht gehende Geschäfte, sie ist Ausdruck für sein völlig konzeptionsloses Verständ nis des Netzes als kaum mehr denn ein weiterer Marketing-Trick für Europa, Osteuropa, Lateinamerika oder Afrika, nachdem der gesättigte amerikanische Markt in Erwartung der nächsten Run de eine Pause eingelegt hat. Mit einem Wort, die Flitterwochen sind endgültig vorbei. Die Push-Medien haben es ge schafft, angebliche Zufriedenheit auf die Bildschirme zu bringen und ein Pu blikum zwangszuernähren, das ausge hungert ist, bevor es überhaupt Hunger verspürte. Die Gegenreaktion nimmt
zu, während die Generaldirektoren ihre Suppe für andere Märkte kochen. Die „anderen" sind nicht so entgegenkom mend, sie haben ein Medienverständnis entwickelt, für das Utopien Nonsens sind, dessen Geschichte nicht so be quem ist und dessen intellektuelle Strenge und politischer Verstand die klaren Marktsegmentierungen zugun
sten des Diskurses und des Widerste hens unterlaufen.
Timothy Druckrey
. Ein Euro-Intranet ist nichts, wovor man Angst haben müßte. Noch vor ein paar Jahren sah man im Internet weithin ein Gegenmittel gegen eine globale Me- dienkonvergenz, einen großen Gleich macher, der Millionen und eines Tages vielleicht Milliarden Menschen zu Wort kommen läßt, die sonst nie gehört wer den würden. Jetzt geht es vor allem darum, ob sich das Netz als etwas nicht viel anderes darstellen wird als nur ei ne Randfigur in einer scheinbaren Non- stop-Jagd nach einem einzigen, allge genwärtigen Top-down-Medium oder nicht. Es ist durchaus denkbar, daß das Netz gespalten und von den voraus sichtlich vorhandenen Techniken, vor allem vom Fernsehen (die Zukunft des Web?) und vom Telefon (email) verein nahmt wird.
Es kommt entscheidend darauf an, die Zukunft des Netzes in jeder Kultur im Kontext der Globalisierung zu sehen, die lange vor dem Boom der frühen 90er eingesetzt hatte. Satelliten- und Kabeltechniken in Kombination mit ei nem Vertriebssystem für Film und Lite ratur, das auf dem kleinsten gemeinsa men Nenner aufbaut, haben schon eine weltweite Kultur geschaffen, die ausge sprochen amerikanisiert ist.
Intranets, metaphorische oder andere, könnten tatsächlich in jeder Kultur, sei sie nun kontinental, urban, ethnisch oder sonstwie geartet, dazu dienen, ei nem Aufgehen in einer einzigen, pay- per-view-Medienmaschine zu widerste hen.