BELIEBT IST, WAS GEFÄLLT: Fernsehen zwischen Mythos und Kult

BELIEBT IST, WAS GEFÄLLT: Fernsehen zwischen Mythos und Kult

Date: 
20.02.1998 12:00
Edition: 
1998
Format: 
Panel
Location: 
Podewil

Mythen als überliefertes Wissen erzählen uns auf besondere Weise von der Wirk­ lichkeit. Sie entziehen sich logischen Erklärungen, sie folgen keiner rationalen Vernunft,sie wollen weder beweisen, noch urteilen oder aufklären: Gerade deshalb können sie verschiedene Vor­ stellungen und Geschichten von der Welt bewahren und weitergeben. Wird nun der Umgang mit den Zeugen und Zeugnissen bewußt stilisiert und wie­ derholt ritualisiert, dann können Mythen Kultstatus erlangen. Für diese archaischen Formen der Erin­ nerung und Mitteilung scheint das Fern­ sehen absolut prädestiniert. Hat es doch aus dem Kreis der Familie einen Halb­ kreis gemacht und in seiner Verbindung von Wort und Bild alle Mittel In der Hand, sich Realitäten anzueignen und gesell­ schaftliche wie kulturelle Phänomene glaubhaft zur Darstellung zu bringen. Gleichzeitig dient das Massenmedium als kollektives Gedächtnis, als institutio­ neller Speicher, der alle Überlieferungen vor dem Vergessen, Verschwinden und Vernichten behüten kann. Diese Potentiale können nun in zwei Richtungen wirksam werden: Einerseits vermag die Television ihren progressiven Beitrag für die Modernisierung und den Wertewandel zu leisten, andererseits kann sie konservative Widerstände gegen plurale und liberale Lebensent­ würfe fördern. Gerade in Hochzeiten per­ manenter und beschleunigter Verände­ rungen scheint ein Festhalten am Bekann­ ten und Vertrauten bei der Suche nach neuen Identitäten und zur individuellen Orientierung zwangsläufig. Wir wollen jetzt eine Retrospektive wagen und überprüfen, welche Sendungen aus mehr als 40 Jahren Fernsehgeschichte die eine oder andere Haltung vertreten, mythisch aufgeladen sind oder Kultsta­ tus erlangt haben. Dabei werfen wir erst­ mals den Blick sowohl auf die Tradition von ARD/ ZDF und originelle Arbeiten aus DDR-Zeiten als auch auf Highlights aus privaten Archiven - insgesamt ein reizvollesWiedersehen mit Helden und Versagern, mit Erfolgen und Skandalen. Diese Ausdrucksformen,Themen und Interpreten können jetzt gleichermaßen mit emotionaler Anteilnahme und kog­ nitiver Distanz rezipiert und goutiert werden, weil sie auf der einen Seite als verbindliche Rollenmuster und Verhal­ tensnormen keine Macht mehr entfal­ ten, Anpassung fordern oder Lebensstile diktieren, auf der anderen aber noch ein­ mal eine persönliche Konfrontation mit der eigenen Mediensozialisation erlau­ ben und den jeweiligen Zeitgeist unmit­ telbar nahebringen.
In den SOer Jahren bestimmte der Glaube an„Erziehung und Erbauung" die Ange­ bote: Werner Höfer pflegte den Mythos Demokratie, Peter von Zahn zeigte die große weite Welt, Heinz Maegerlein ver­ schrieb sich der Volksbildung. In den 60ern reizte„Panorama" die Konsens­ fähigkeit aus,die Abendunterhaltung präsentierte sich polyglott,die„Stahl- netz"-Krimis wurden zum Straßenfeger. Die 70er brachten mit„Klimbim" Erotik, im„Glashaus" ging es um Systemkritik, die Talkshows entzauberten die Privat­ sphäre. M it den 80ern trat der konsum­ freudige Verbraucher auf den Plan, das Medium spielte„anything goes". Das Programm im Osten warweniger dem Geschmack und den Moden unter­worfen, sondern mehr an politischen Gebrauchswerten orientiert.Trotzdem oder gerade deshalb wurden auch hier Mythen wie„allseits entwickelte Persön­ lichkeiten",,,Weltoffenheit" oder„Schlüs- seltechnologien“ produziert und repro­ duziert. Und selbst vor 1989 erlangten Manfred Krug,,,Außenseiter-Spitzen­ reiter" oder der„Sandmann" durchaus Kultstatus. 1. Ein Alptraum oder ein Traum vom Fernsehen? Anspruch und Wirklichkeit auf westdeutschen Bildschirmen. Eigens für die transmediale hat die ParIazzo-Redaktion des WDR eine ge­ kürzte Fassung ihres„Spezials" zur Fern- sehausstellung„DerTraum vom Sehen" im Oberhausener Gasometer produziert. Die Sendung vom 22.8.97 zeichnete in 75 Minuten den Weg ins„globale Dorf" nach, präsentierte Fernsehmythen und - legenden aus über 40 Jahren und wies am Beispiel bekannter oder vergessener Sendungen nach, wie die Television nach­ haltig tradierte Lebens- und Kommuni­ kationsformen beeinflußt hat. „Parlazzo spezial" blickt aber nicht nur zurück in die Historie, sondern beleuch­ tet auch das Phänomen, warum manche Sendungen zeitgemäß waren und dann zeitlos wurden: von den ersten Eurovi­ sionssendungen und den Ansagerinnen über Familienserien wie die„Schöler- manns" oder Fernsehspannung wie „Das Fialstuch" bis zu Show-Stars und der„Sportschau". Konzept und Redaktion: Matthias Kremin (WDR), der persönlich anwesend sein wird; Autoren: Frank Bürgin und Lothar Schröder; Moderation: Anne Will; Produktion: Beta bande und Flimmerware
►2. Sozialistischer Realismus oder Idealismus? Das DDR- Fernsehen und seine Mythen. Nach dem politischen Ende der DDR wurde am 31.12.1991 auch der Deutsche Fernsehfunk„abgewickelt".Was bleibt nun von der sozialistischen Fernsehkost, deren Reiz in der einzigartigen Mischung aus künstlerischen Leistungen und haus­ gemachter Solidarität lag? Aus östlicher Sicht sicher die Erinnerung an das ver­ traute Gemeinschaftsgefühl und eine inzwischen verlorengegangene Alltags­ kultur - aus westlichem Blickwinkel die Verwunderung über die Eigenheiten des einmal real existierenden Sozialismus. Für beide Seiten haben w ir in Koopera­ tion mit dem Deutschen Rundfunkarchiv als heutiger Sachverwalter der gesamten Programmbestände des DDR-Fernsehens eine exklusive Auswahl an beliebten Sendungen und typischen Formaten von den 50er Jahren bis zum Ende vorberei­ tet (ca.45 Minuten). Darunter nicht nur die übliche Agitation und FHofberichter- stattung, sondern vor allem auch Unter­ haltungsshows, Serien und Fernsehspiele. All diese Formate sollten staatstragend sein und„sozlalistisches Bewußtsein" vermitteln. Aber das Publikum akzep­ tierte - trotz pädagogischem Zeigefinger - die eigenen, mit internationalen Stan­ dards vergleichbar gestalteten Spiel­ shows, Quiz- und Ratesendungen, Maga­ zine und Revuen. Mit ihrer harmonisie­ renden Komponente und ihren manch­ mal auch kritischen Untertönen standen sie In wohltuendem Kontrast zur dog­ matischen Publizistik der Partei. Konzept und Redaktion: Julia M. Novak und Thomas Beutelschmidt mit Unterstützungvon Georg Langerbeck, der als ehemali­ ger Redakteur der Kult-Jugendsendung „Elf99" Auskunft über die Möglichkeiten und Grenzen des Fernsehmachens in der DDR geben wird.
►3.„Die Geschichte des Deutschen Fernsehens" - aus privater Sicht
Mit Premiere widmet sich erstmals ein privater Anbieter in aller Ausführlichkeit der Entwicklung des Mediums zwischen 1936 und'97. Nachdem das Fernsehen als Leitmedium der Moderne in Gefahr gerät, seine traditionelle Bedeutung durch die Konkurrenz der Angebote in digita­len Bouquets oder durch die Netzwelten zu verlieren, richten sich alle Blicke auf die wesentlichen und eigenständigen Formen der telemedialen Kommunika­ tion, Information und Zerstreuung. In zwei 60minütigen Dokumentationen werden Archivmaterialien chronologisch dieTV-Geschichte mit den erfolgreich­ sten und innovativsten Programmen sowie den wichtigsten Reportagen und Nachrichten präsentieren.Zwischen die­ sen im Off kommentierten Ausschnitten kommen in akuellen Interviews namhaf­ te Persönlichkeiten der Fernsehbranche zu Wort: von Eduard Zimmermann über Billy Mo bis zu FlelmutThoma... Wir zei­ gen in einer Voraufführung einige Beispiele aus dieser gerade für 1998 ent­ stehenden Produktion. Redaktion und Gesprächspartner für Premiere: Christian Kubo (Leiter Kultur); Autoren und Regiejoachim Schroeder, Henriette Schroeder und Michael Althen; Produktion: Preview Production/ Trebitsch Produktion Holding

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