Der Cyborg Mythos
Der Cyborg Mythos
Der menschliche Körper ist die letzte Grenze der Technisierung. Viele Ent wicklungen deuten darauf hin, daß eine neue Art technischer Umwelt, eine Technosphäre, entsteht, die das Indivi duum umgibt und möglicherweise re konstruiert. Welche Konsequenzen er geben sich daraus, daß - wenn einige technologische Durchbrüche gelingen - die natürlichen Grenzen des menschli chen Körpers überschritten und die Welten des „Mikrokosmos" menschli cher Manipulation zugänglich werden? Cyborg steht als Begriff für ein tenden zielles Zusammengehen von biologi scher Organisation und technischer Kontrolle. Doch welche Grenzen zwi schen Mensch und Maschine sollen da genau gezogen werden? Es scheint ab surd, das Tragen von Kontaktlinsen oder das Einnehmen von „smart drugs" allein schon als Cyborg-Eigen- schaften zu sehen. In verschiedenen Bereichen der Wissen schaften wird an einer Verschaltung von Mensch und Maschine gearbeitet. In den Phantasien einiger Wissen schaftler aus Bereichen der Robotik,der Künstlichen Intelligenz-Forschung, wird der Körper in Zukunft neu gestaltet und in Formen und Funktionen ver vielfältigt. Welche Fortschritte gibt es beispielsweise in der Medizintechnoloßie, um Operationen durchführen zu können? Die Prothetik, die Ausstattung des menschlichen Körpers mit technischen Hilfsmitteln, wird in den Techno wissenschaften positiv gesehen, da sie der menschlichen Erkenntnis und Wahnehmung zu neuen Dimensionen ver helfen kann. In der Perspektive sollen medizinisch-chirurgische Eingriffe auf nanotechnologischer Basis möglich sein, indem kleinste Maschinen - ähn lich wie weiße Blutkörperchen - in Gewebe eintreten und direkt im Körperin neren Reparaturmaßnahmen durch
führen, den Körper jung halten, die Mensch-Maschine-Symbiose vollenden.
Wenn die angestrebten Erfindungen gelingen, stünde eine elementare Ver schiebung von kulturellen Bewertungs kriterien in Aussicht: „Leben , „Kör per", „Natur", „Mensch", „Evolution". In der entstehenden Cyberkultur wer den neue Imaginationen der Technik, des menschlichen Körpers und der Ge sellschaft gebildet. Eine ganze Reihe von ambivalenten Cyborg-Motiven ist in die populäre Kultur bereits einge drungen. Wie kann diese thematische Konjunktur verstanden werden? Welche Perspektiven verbergen sich hinter die sen Folien? Die Erstellung von Progno sen ist eine ernsthafte Herausforderung für die Beschreibung kultureller Bedeu tungsprozesse und für die künstlerische Auseinandersetzung. Die Meinungen schwanken zwischen den Extremen, daß die Individuen endweder endgültig ein Anhängsel der Technik werden -
der französische Medientheoretiker Paul Virilio spricht von einer „Kreuzi gung" des menschlichen Körpers — oder, daß sie konfrontiert werden mit ganz neuen Existenzmöglichkeiten, die die Technisierung des Denkens und des Körpers bereitstellen können. Wird die Rekonstruktion des Körpers, der Objek te zum Bestand einer neuen (ideologi schen) „Metaphysik als Versuch, das Physische zu überschreiten? Der Mensch läßt seine Existenz als Natur wesen hinter sich und strebt nach seiner technischen (Re)Produktion, nach seiner „Vergöttlichung". Das ist eine Vision, die von ihren Apologeten zu meist eher ungesellschaftlich artikuliert wird. Die amerikanische Biologin und Historikerin Donna Haraway sieht den Cyborg denn auch als kritische Meta pher, als Fiktion, an der sich die Be schaffenheit der heutigen gesellschaft lichen und körperlichen Realität able sen lasse. Der Körper sei als solcher denaturalisiert, müsse als Konstrukt gesehen werden: „Die gesellschaftli chen Wissenschafts- und Technologie verhältnisse, wie sie in der Elektronik und Biotechnologie sichtbar werden, sind mächtige Techniken zur Intensivie rung des Warencharakters aller Dinge, teilweise durch die Verschiebung und Neuziehung grundlegender Grenzen, durch die die Gegenstände gesell schaftlich konstituiert werden. Zu die sen Gegenständen gehören wir selbst." Haraway sieht den Cyborg als ein neu es Modell der Interpretation: Die tech nologisch veränderten Bedingungen berühren Fragen der Identität und der (Selbst-)Definition der menschlichen Kultur. Ist der Cyborg ein neues Modell für ge sellschaftliche Emanzipation, in dem neue kulturelle Lebenschancen, neue Freiheiten des Eingriffs in die Natur eröffnet werden, oder die düstere Ah nung eines neuen „Totalitarismus", in dem der Körper in einen technischen „Körperpanzer" gezwungen wird als Teil einer „Informatik der Herrschaft"? Was ein Cyborg im materiellen Sinn sein kann, muß spekulativ bleiben, da die Technologien für Verbindungen von Organismus und Maschine erst in An fängen existieren, noch weit entfernt von der Machbarkeit eines wie auch immer gearteten Umbaus des Körpers, an dessen Ende die Überwindung des Todes stehen könnte. Das Cyborg-Motiv hat momentan in unterschiedlichen kulturellen Bereichen Konjunktur. Zur Annäherung an dieses Phänomen bieten sich verschiedene thematische Stränge an: 1. Die visuelle Darstellung der Mensch-Maschine-Ver- bindung in der Popkultur und die Vision eines hybriden Wesens im künstleri schen Schaffen. 2. Cyborgisierung als Metapher für neue Muster des Techno logiegebrauchs und neue Erfahrungen der Verkörperung. 3. Der Cyborg als Faktum, der konkrete technische Ent wicklungsstand von Mensch-Maschine- Interfaces und ein Ausblick auf tech nisch Mach- und Denkbares. Andreas Broeckmann, Sabeth Buchmann und Dierk Spreen werden ihre Interpretatio nen vortragen. Die sich anschließende
Diskussion wird von Wolfgang Neuhaus moderiert. Als Opening läuft der von Illuminations Television produzierte Film „Pandaemonium" von Richard Curson Smith und Leslie Asako Gladsjo. Pandaemonium
- Leslie Asako Gladsjo,
Richard Curson Smith