Market Sentiments
Market Sentiments
Ist die Distanz groß, erkennt man auf Satellitenbildern von Landschaften Küstenformationen und kann Flussläufe verfolgen. Ist sie geringer, lassen sich Laub- und Nadelwälder, Feldwege und Straßen, Sumpfwiesen und Äcker unterscheiden. Das gedämpfte Grün und Braun weitgehend unbebauter Natur vermittelt Ruhe. Doch zur melancholischen Orchestermusik von Arvo Pärt schieben sich alsbald grellrote und gelbe Linien über die Flächen, zerteilen sie und nehmen dabei wenig Rücksicht auf bestehende Formationen. Dieser rhythmische Vorgang, der entlang eines musikalischen Accelerando und Crescendo auch die Landschaften immer schneller, mit immer dichteren abstrakten Mustern überzieht, ist zugleich wunderschön anzusehen und – zieht man den Titel in Betracht – eine traurige Angelegenheit. „Market Sentiments“ ist ein Fachbegriff aus der Wirtschaft, der eine Grundstimmung bezeichnet, die Investoren veranlasst oder davon abhält, Geld in einem Gebiet zu investieren. In Estland, jenem 1991 in die Selbstständigkeit entlassenen ehemaligen Teilgebiet der Sowjetunion, ist die Investitionsstimmung aufgrund marktliberaler Gesetzmäßigkeiten euphorisch. Die Linien beruhen auf realen Katasterplänen von verkauften oder zum Verkauf stehenden estnischen Grundstücken. Musils vierminütige Animation market sentiments greift diesen abstrakten, scheinbar statischen Sachverhalt auf und überführt ihn wieder in die Bewegung, die er im Grunde ist: In seiner kleinen und präzisen Form macht dieser Film das Drängen des Marktes sichtbar – und bezieht mit ureigenen Mitteln politisch Stellung.