In Conversation with a New State of Mind
In Conversation with a New State of Mind
Als Kuratorin von conversationpiece organisierte ich eine Veranstaltung mit dem Titel New State of Mind, die meine Gedanken über die gegenwärtige Sicherheitspolitik am deutlichsten zusammenbrachte. Sie verknüpfte meine eigenen Betrachtungen mit denen von Prof. Didier Bigo, Prof. Geoffroy de Lagasnerie und dem Künstler James Bridle im Rahmen einer Diskussion um die Fragen, wie man der politischen Logik der Securisation entfliehen kann und Sicherheitspolitik im Allgemeinen überdenken kann.
In diesem Beitrag möchte ich weitergeben, wie sich diese Unterhaltung für mich fortgesetzt hat. Ich werde die Gedanken aus meiner Einleitung in der Veranstaltung mit neuen Einblicken und Erfahrungen in Verbindung stellen, die im Anschluss folgten.
Im April 2016 war ich vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik als Rednerin und Co-Referentin zu einem Workshop über Sicherheit in der Informationsgesellschaft eingeladen worden. Dies ermöglichte mir, die Diskussionen des conversationpiece in einem umstrittenen Umfeld weiterzuführen. Auch eröffnete es mir einen persönlichen Eindruck in die komplexe institutionelle Umgebung, in der sich deutsche Sicherheitspolitik abspielt.
Der Workshop war der erste seiner Art und lud Vertreter_innen der Zivilgesellschaft aus Wissenschaft und öffentlichen Einrichtungen zu einem Dialog über die Bedürfnisse und Herausforderungen der Sicherheit in der Informationstechnik in Deutschland ein. Mein Vortrag war einer von dreien, die zu einer Diskussion anregen sollten. Ich sprach über die demokratischen Dilemmas und Mängel, denen wir heutzutage in der deutschen Sicherheitspolitik sowie an vielen anderen Orten begegnen.
In meinem Vortrag sprach ich Gedanken aus, welche ich bereits für New State of Mind entwickelt hatte. Als Einstieg begann ich meinen Eindruck zu schildern, dass es mindestens drei widersprüchliche und konkurrierende Bedeutungen und Zusammenhänge des Begriffs Sicherheit gibt, was den Abbau unserer „Anxieties to Secure“ stark erschwert. Erstens kann Sicherheit als eine Frage des Überlebens angesehen werden, zweitens als eine politische Frage und drittens als eine technologische.
In der ersten Bedeutung beschreibt Sicherheit als Frage des Überlebens einen seinshaften Zustand unseres Daseins als Lebewesen. Jedes Lebewesen möchte sich sicher fühlen. Wir schützen uns selbst in der Welt, um am Leben zu bleiben. Das gleiche tun wir mit den Menschen, die uns am Herzen liegen, sowie mit unseren Besitztümern. Heute ist Sicherheit in diesem Sinne nicht nur eine Frage der Selbstverteidigung, sondern betrifft auch Arbeitsbedingungen, Partnerbindungen und wirtschaftliches Überleben. Die Frage der Absicherung scheint so wesentlich für die Menschheit, dass sie oftmals als Hauptgrund für die Entwicklung des Staats gehalten wird. Tatsächlich ist Sicherheit in deutschem und europäischem Recht als eine Schutzverpflichtung festgesetzt.
Die moderne Idee des Bürgerrechts ist von dieser Logik geprägt und hat weitreichende Folge in der heutigen Welt, in der Staatsmaßnahmen zur Sicherheit allgegenwärtig sind, obwohl sie meist vor den Bürger_innen geheim gehalten werden. Im Gegensatz zu diesen unsichtbaren Sicherheitsmaßnahmen werden wir tagtäglich durch weltweite Informationsnetzwerke auf eine Fülle von Sicherheitsbedrohungen aufmerksam gemacht.
Als Wiedergutmachung für die mentale Überlastung durch Unsicherheiten werden uns Sicherheitsmaßnahmen im Rahmen einer Logik des Tauschens und Aufopferns präsentiert. Uns wird gesagt: Wenn wir Sicherheit wollen, müssen wir dafür andere Dinge aufgeben. Wir müssen Eingriffe in unsere Privatsphäre, Einschränkungen unserer Bürgerrechte sowie eine im Allgemeinen skeptische und verdächtigende politische Stimmung akzeptieren. Auch müssen wir vielleicht unser Vertrauen in das Unbekannte oder Andere für ein Gefühl von Sicherheit aufgeben. Dieser Tausch selbst mag noch gar kein Problem sein – schließlich begegnen wir auch in unserer eigenen täglichen Praxis in sozialen Beziehungen Kompromissen und Verzicht, um uns zu schützen und abzusichern. Das Problem steckt in der Unklarheit und dem Ungleichgewicht dieses Eintauschens, denn es gibt keine Beweise, politische Debatten oder Möglichkeiten einer demokratischen Teilnahme in Bezug auf das, was wir in im Gegenzug zu unserem Verzicht erhalten. Es scheint, als hätten wir gar kein Mitspracherecht in dieser Tauschhandlung.
Nachdem ich einige Zeit nach dieser Logik gelebt habe, ist es dennoch mein Eindruck, dass Sicherheit nichts mehr mit der offenkundigen Realität zu hat, sondern mit dieser Logik. Sicherheit rückte mit dem Beginn des Kalten Krieges in den späten 1940er Jahren in den USA als politischer „Cover Term“ in den Mittelpunkt. „Cover Term“ kann hier in doppeltem Sinne übersetzt werden: Auf der einen Seite war es das neue Titelthema der politischen Agenda und auf der anderen tarnte es die langfristige Massenmobilisierung von Soldaten in den USA, einem Land, das traditionsgemäß eigentlich kein stehendes Heer hatte. Der Begriff Sicherheit klang zivilisierter als Krieg und Verteidigung und war auf weniger fest umrissene Konflikte wie den Kalten Krieg oder, seit dem 11. September, den Krieg gegen den Terror anwendbar.
Das ständige Erfassen und Vorhersehen von Daten und die dadurch angeblich entstehende Kontrolle von Risiken und Gefahren erreichte durch die gegenwärtige Abhängigkeit von Technologie eine neue Ebene. Diese dritte Bedeutung von Sicherheit, als technologische Angelegenheit, fängt bei einem Modell der Bedrohung an. Es werden alle möglichen „Worst Case“-Szenarien angenommen, um mögliche Schwachstellen aufzuspüren. So wird auf einmal entscheidend für die Sicherheit, die am besten entwickelte Soft- und Hardware zu besitzen und schlussendlich den Algorithmus perfektionieren zu können. Heute geht die politische Dimension von Sicherheit mit der technologischen Dimension einher. An einigen Stellen vermischen sich ihre Logiken und Ziele. Als Folge werden wir Zeugen einer Verschiebung: Innerhalb dieses Sicherheitsdenkens werden die Geflüchteten, die an europäischen und anderen Grenzen verfolgt und überwacht werden, eher wie Nummern als wie Menschen behandelt, wie eine berechnete Bedrohung und nicht wie eine Gruppe Menschen, die nach Zuflucht und Grundrechten sucht.
Die Entwicklung in der Sicherheitspolitik kann als eine Art Beschleunigung betrachtet werden, die ein kritisches Problem hemmt. Die meisten Definitionen von Sicherheit beschäftigen sich mit den Zielen von Sicherheit und vernachlässigen dabei die Ansätze und Einschränkungen der betreffenden Personen, die sich nach Sicherheit sehnen sowie ihre Einschätzung – als Person, als Organisation, als Regierung oder als Algorithmus. Die Definitionen von Sicherheit gehen oftmals davon aus, dass es eine objektive Art gibt, zu sagen, dass jemand oder etwas frei von Bedrohungen ist, sowie es auch eine objektive Beschreibung für diese Bedrohungen gibt. Diese Idee von einer objektiven Beschreibung, einer allgemeinen Gewissheit des Charakters von Sicherheit, ist bereits im Wesentlichen fehlerhaft. Ein Sicherheitsstaat ist nicht nur aus tatsächlichen Bedrohungen aufgebaut, sondern ist auch stark von allen möglichen Einstellungen, Vorurteilen, Lücken, Ängsten und Pathologien geprägt. Trotzdem beruht Sicherheitspolitik auf Prognosen, wer wo und wann eine Bedrohung darstellen könnte. Das Verlangen, eine totalen Sicherheit aufzubauen und die damit verbundene Vorhersehbarkeit ist ebenfalls komplett abhängig von einem ständigen Aufspüren von möglichen zukünftigen Bedrohungen.
Deshalb beinhaltet Sicherheit sowohl die Entstehung als auch die Vernichtung von Bedrohung. Sicherheitspolitik funktioniert als Regierungsform, die uns mit einer Krankheit ansteckt, um sich im Anschluss als die Erlösung davon zu präsentieren. Diese Securisationspolitik, in der mehr und mehr Lebensbereiche als mögliche Bedrohungen angesehen werden, hat einen massiven Einfluss auf uns als Individuen und als Gesellschaft. Mir scheint es, dass je elaborierter und technologisch ausgeklügelter die Vorhersagen werden, desto weniger haben sie mit der Welt zu tun, die wir gemeinsam teilen.
Die falsche Idee hinter dieser Politik ist die, dass das Sammeln des gesamten Wissens über die Welt uns dazu befähigt, die Zukunft vorherzusagen, dass nur Weitblick uns aufnahmefähig für die Wahrheit machen kann. Diese Idee lässt keinen Raum dafür, Ängste und Unruhen zu akzeptieren oder gar zu zeigen. Dabei werden sie zwangsläufig trotzdem ausgelebt.
Ich glaube, dass Sicherheit in der Praxis zu einem eher mentalen Modell geworden ist, das sich nach einer Version der Welt sehnt, die ganz ohne den bloßen Eindruck von Bedrohung existiert. Es scheint, als sehnten wir uns so sehr nach Sicherheit, dass wir lieber die beste Illusion von Sicherheit akzeptieren, als die klare Teile einer unkontrollierten Welt, die uns mit ihrer Zusammenhangslosigkeit und Unvorhersehbarkeit Angst einjagt. Überwachung ist die logische Folge dieses falschen Denkens. Sie schafft eine Illusion des ganzen Weitblicks, des vollständigen Wissens und der Transparenz. Schlussendlich schafft sie eine Illusion von Kontrolle und Sicherheit.
Die Securitisationspolitik klingt in unserer Gesellschaft immer noch mit, denn Sicherheit als politische Frage ist für unsere persönlichen Sicherheitsgefühle als Überlebensform ansprechend. Dafür akzeptieren einige die Methoden, die unsere Staaten anwenden. Andere fragen sogar nach noch mehr und härteren Methoden zum Schutz der Sicherheit. Wieder Andere fühlen sich unruhig und hilflos in der Erkenntnis des Ausmaßes und der Brutalität dieser Methoden. Und dann gibt es noch die, die aktiv werden und versuchen, Sicherheitspolitik aufzudecken und gegen sie zu protestieren. Bei der Diskussion im Rahmen von conversationpiece beendete ich meinen Vortrag mit einem Zitat von Kenneth Walz: “States, like people, are insecure in proportion to the extent of their freedom. If freedom is wanted, insecurity must be accepted.”1Deshalb ist die Frage nicht: Wie wollen wir Sicherheit schaffen? Sondern eher: Wenn wir Freiheit wollen, wie können wir dann lernen, mit unseren Unsicherheiten zu leben? Wie würde eine Politik aussehen, die unsere eigenen Unsicherheiten mit einbezieht?
Eine Antwort darauf, die im Workshop zur informationstechnischen Sicherheit große Übereinstimmung fand, war – nur wenig überraschend – die Annahme, dass die Zivilgesellschaft einen höheren Grad an digitaler Medienkompetenz sowie realistische Optionen zur digitalen Selbstverteidigung braucht, zum Beispiel durch Verschlüsselung. Natürlich ist diese Forderung berechtigt, doch gleichzeitig ist sie im Wesentlichen eine unpolitische Forderung, da sich nur Einzelpersonen um Sicherheit kümmern sollen. Staatsüberwachung und Überwachungskapitalismus können allerdings nur angesprochen werden, wenn Sicherheitspolitik neu politisiert wird. Dieser Kampf, Sicherheitspolitik wieder in den Bereich der öffentlichen Prüfung zu bringen, wird eine der langfristigen Herausforderungen der heutigen Gesellschaft sein. Er wird auf vielen verschiedenen Ebenen und mit vielen verschiedenen Arten von Expertise geführt werden müssen – von technischer über juristischer bis hin zu politischer.
Eine Idee, die in den Präsentationen und Arbeiten meiner drei Gesprächspartner immer wieder aufkam, war die, dass es das Bedürfnis nach einer neuen Art von Bürgerrecht gibt, oder zumindest ein neues Verständnis dieses Konzepts. In ihrem Buch Being Digital Citizens argumentieren Egin Isin und Evelyn Ruppert, dass ein digitales Bürger_innenrecht durch performative Bürgerrechtshandlungen gegeben ist und eingefordert werden kann. Der Gebrauch von Verschlüsselung und weiteren Praktiken, die Bürger_innenrechte durch digitale Handlungen ausführen, können sicherlich als eine Forderung nach digitalen Rechten für Informationssicherheit und Privatsphäre gesehen werden, aber sie werden nicht zu einer tiefergehenden Umwandlung führen, solange sie nur auf individueller Ebene funktionieren. Die wahre Herausforderung ist es jetzt, das Recht einzufordern, Sicherheitspolitik gemeinschaftlich neu zu politisieren.
New State of Mind, Panel mit Didier Bigo, James Bridle und Geoffroy de Lasagnerie bei transmediale/conversationpiece.
- 1. Zitiert in: Alan Collins, Contemporary Security Studies (Oxford: Oxford University Press, 2013) 407.