Vilém Flusser Residency for Artistic Research 2012: Georgios Papadopoulos
Vilém Flusser Residency for Artistic Research 2012: Georgios Papadopoulos
Mit dem Vilém Flusser Residency Programme for Artistic Research werden Projekte und Arbeiten unterstützt, die sich in einem konzeptionellen Stadium befinden und sich durch ihren prozessbasierten und unabgeschlossener Charakter auszeichnen. Das Programm soll neue Forschungsrichtungen in den Gang bringen oder bereits bestehende Forschungsprojekte weiterentwickeln.
Vilém Flussers Denken und Arbeiten ist namengebend für das Residency-Programm. Theorie und Praxis sind für Vilém Flusser untrennbar miteinander verbunden. Sein nomadisches Denken war geprägt von einer Philosophie der Standpunkte. Im Vordergrund seines Denkens stand das experimentelle Austesten unterschiedlicher Denkwege und die Verknüpfung verschiedener Disziplinen und Methodologien. Nicht die Wahrheitserkenntnis, sondern das Spiel mit ihr und ihrer ästhetischen Konstitution prägte sein Denken, das er oft erst im Dialog mit und durch den Anderen entwickelte. Seine Philosophie zeichnete sich durch den Dialog mit und zwischen den verschiedenen Disziplinen, Standpunkten und Methodologien aus. Wissensproduktion als Dialog zwischen unterschiedlichen Standpunkten, zwischen Wissenschaft und Kunst, Labor und Praxis, alten und neuen Medien, globalen und lokalen Organisationsformen bildet daher das Leitmotiv für die Residency.
Das Residency-Programm ist eine Kooperation zwischen dem _vilém_flusser_archiv der Universität der Künste (UDK) und der transmediale, Festival für Kunst und digitale Kultur Berlin. Das Auswertungskomitee des letzten Jahres bestand aus Claudia Becker (Vilém Flusser Archiv), Julian Oliver (Künstler) und Kristoffer Gansing (künstlerische Leitung der transmediale).
Part I: Vilém Flusser Residency 2012: Project Description
Part II: Vilém Flusser Residency 2012: Resumé
Vilém Flusser Residency 2012: Georgios Papadopoulos - Iconographies of the Drachma. Speculation on the Symbolic Value
Die Idee der Residency und des Drachma Projektes ist, sich mit der Bedeutung von visueller und non-verbaler Darstellung in wirtschaftlicher und sozialer Interaktion zu beschäftigen. Dies beinhaltet offensichtlich Fragen der Ästhetik und der Kunst. Gefühlsbedingte Beteiligung an der sozialen Ideologie, an Konsum und an Produktion sollen angesprochen und unterbrochen werden. Dabei wird nicht nur mit der Theorie experimentiert – es wird auch in der Praxis über einen umstrittenen Raum zwischen Bild und Wort verhandelt, zwischen Sprache und Kunst. Geldscheine geben ein hervorragendes Beispiel für solch eine „Inter-Mediation“. Georgios Papadopoulos und eine Reihe von Gastkünstlern werden den Prozess der Bildung von nationaler Identität vom Standpunkt der visuellen Darstellung in der Währung verfolgen und gleichzeitig in Frage stellen, wie wirtschaftlicher Wert und politische Macht in Währungen zur Sprache gebracht werden. Diese Darstellungen eröffnen Einblicke in die geldwirtschaftliche Maschinerie und ihre Betriebsideologie. Die Währung gibt der Analyse einen bestimmten Bezugsrahmen und schränkt somit die theoretische und künstlerische Spekulation durch die visuelle Syntax von Scheinen und Münzen ein. Papadopoulos und seine Gastkünstler wollen diese Einschränkungen kreativ und produktiv nutzen, um eine neue Bilddeutung für eine gegenwärtige Identität nach der Krise zu entwerfen.
Das Denken Vilém Flussers ist sehr wichtig für die Untersuchung von Geld. Die Frage nach der Darstellung von Wert in der Ära technischer Bilder ist besonders interessant für die Problematik der Residency. Flussers Werk über Apparate ist relevant sowie auch seine ontologische Untersuchung des Status von technischen Bildern und der spezifischen Art des darstellenden Denkens, die die Fotografie möglich gemacht hat. Währungen und Geldscheine im Besonderen scheinen zwischen traditionellen und technischen Bildern zu liegen, da sie auch ontologische Attribute des letzteren teilen. Sie verbreiten das gleiche magische Denken, aber hier in Verbindung mit Wert. Wir könnten Flusser neu formulieren und spekulieren dass „the function of banknotes is to liberate their receivers by magic from the necessity of thinking about economic value, at the same time replacing historical consciousness with a second-order magical consciousness and replacing the ability to think conceptually with a second order imagination”.
Die Residency wird ein vorläufiges Produktionsbüro im Vilém Flusser Archiv aufbauen, um die künstlerischen und diskursiven Materialien des Drachma Projektes zu sammeln und zu verarbeiten. Als erstes soll das Material des Forschungsprojektes zu Texten und Bildern verarbeitet werden, die in verschiedenen Medien benutzt werden können. Ein führendes Interesse in dieser Umwandlung ist es, zu testen, wie Sprache als digitales Material kapitalistische Prozesse des Austauschs und der Kommodifizierung nachahmen und kritisieren kann. Die Künstler sind deshalb sowohl an Kommunikation als auch an Unleserlichkeit interessiert. In der gleichzeitigen zweiten Phase der Veröffentlichung des Projektes sollen Seiten und Bildschirme editiert, produziert und als Buch veröffentlicht werden, mit der Technologie, die am brauchbarsten erscheint.
Eine Reihe von Interventionen und Veranstaltungen ist für die Zeit der Residency in Berlin geplant. Ein Workshop mit dem Titel Imag(in)ery Constitution of the Economy mit Studenten der Universität der Künste, Vorträge im Vilém Flusser Archiv und eine Beteiligung an weiteren Forschungsinitiativen in Berlin. Der Abschluss der Residency soll dann vom 22. bis 24. August während eines Events der reSource transmedial culture berlin im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien stattfinden. Hier soll auch eine Beta-Version des Buches präsentiert werden.
Abschließender Report der Vilém Flusser Residency for Artistic Research 2012
Die Idee der Residency und des Drachma Projektes war es, sich mit der Bedeutung von visueller und non-verbaler Darstellung in wirtschaftlicher und sozialer Interaktion zu beschäftigen. Der Fokus der Untersuchung ist die Währung, die Drachma und auch der Euro, die als Knotenpunkte gefühlsbedingter Spannungen und als Projektionsflächen für Verlangen und Subjektivität fungierten. Beteiligung an der sozialen Ideologie, an Konsum und an Produktion sollen angesprochen und unterbrochen werden. Die Frage der Darstellung von Wert in Währung ist offensichtlich verbunden mit der Semiotik und auch mit Ästhetik und Kunst. Gefühlsbedingte Investitionen soll in dominanter Ideologie, im Konsum und in der Produktion angesprochen und unterbrochen werden, da sie durch Währung geleitet werden. Dadurch wird eine gemischte Praxis aus theoretischer Kritik und “speculative numismatics” (Lee 2011) entwickelt. Währung wurde in der gleichen Art wie ein Text gelesen und dieser Text konstruiert die Narrative eines Fetisches. Jede Münze und jeder Geldschein kann heruntergebrochen werden auf essentielle visuelle und textliche Elemente und deren Analyse kann in symbolische und ikonografische Muster extrahiert werden, die Gemeinschaften und Werte darstellen.
Vilém Flussers Denken war äußerst wichtig für die Betrachtung von Geld und Währungen und brachte die Frage auf, wie Wert in der Ära der technischen Bilder dargestellt wird. Flussers Hypothese der Dominanz der technischen Bilder, Fotos, von Maschinen produzierte Texte oder Mischkonfigurationen von Texten und Bildern verbindet die soziale Realität und Apparate, die sie organisieren. Es wird davon ausgegangen, dass unsere Beteiligung am Markt durch unsere Identifikation mit den ikonischen Darstellungen von Wert und Verlangen konditioniert werden. Diese werden in der visuell-textlichen Architektur von Während deutlich (eine Reihe technischer Bilder, die durch den Geldapparat produziert werden). Die Analyse von Geldscheinen, technische Bilder, die vom staatlichen Geldapparat produziert wurden, kann den Prozess der Selbstdarstellung nachverfolgen, der in der Währung ausgedrückt und kommuniziert wird. Themen wie Geschichte, Territorialität und Nationalität werden in der Bilsprache von Geld stark dafür genutzt, Wert und Vertrauen auszudrücken.
Die Residency hat es dem Drachma-Projekt ermöglicht, ein vorläufiges Produktionsbüro im Vilém Flusser Archiv aufbauen, um die künstlerischen und weitreichenden Materialien aus dem Diskurs zu sammeln und zu bearbeiten und als Lab für neue Reflektionen und Experimente zu dienen. Es war uns dadurch möglich, die Materialien des Forschungsprojekts auszuformulieren und in Bilder und Texte umzuwandeln . Als Resultat entstand die Buchpublikation Grexit sowie eine Reihe an Performances, Präsentationen und Vorträgen in Berlin und Europa. Die stetige Interaktion mit den Communities der transmediale und des Vilém Flusser Archivs schafften einen fruchtbaren Boden, um Ideen und visuelle Produktionen auszuprobieren und gaben gleichzeitig die Visibilität, der Öffentlichkeit diese Ideen zu präsentieren.
Text: Georgios Papadopoulos
Bilder 1-3: Gr-Exit, Image 4: Georgios Papadopoulos auf der transmediale 2k+12, Bild 5: Georgios Papadopoulos bei reSource 001: Trial Crack, Bild 6: Georgios Papadopoulos bei reSource 002: Out of Place, Out of Time, Bild 7: Georgios Papadopoulos beim reSource 003: P2P Vorspiel at Café Liberte, Collegium Hungaricum
Die PDF von Gr-Exit. A Speculative Archaeology for the Greek Economy kann hier herunter geladen werden.
Hier gibt es ein Video von Georgios Papadopoulos Projektpräsentation auf der transmediale 2k+12.